Heinrichsgeist

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Mentales Modellieren
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Jesper Juul

Leitwölfe sein

Liebevolle Führung in der Familie

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Buch 2016 https://www.deutschlandfunkkultur.de/jesper-juul-leitwoelfe-sein-liebevolle-fuehrung-in-der-100.html

Wahrgenommen von Heinrichsgeist: 2023. Zitate auf dieser Seite beziehen sich auf diese Quelle, sofern nicht anders gekennzeichnet (Zitationszweck: Anschauliche Hervorhebung ausgewählter Passagen).

Interessant

5 Frau und Mutter sein

Die Angst vor gesunder Individualität und die Macht, diese als »Egozentrik« zu definieren, sind ein Markenzeichen aller autoritären Regime und der fundamentalistischen Auslegungen von Religion. Grundlage sind weder eine psychologische Einsicht oder existenzielle Aspekte des menschlichen Lebens noch ein Verständnis davon, was wirklich gut für Menschen ist, sondern nur der Wunsch, die Kontrolle und absolute Macht über andere Menschen zu besitzen – sowohl über kleine als auch über erwachsene. Neben Gehorsam und Konformität produziert so etwas Schuld und Scham, die in der klinischen Psychologie als die beiden selbstzerstörerischsten Gefühle angesehen werden, an denen wir leiden können.

6 wo sind die Männer und Väter?

Ein anderer interessanter Widerspruch ist, dass die heutigen Mütter ihre Söhne oft auf eine Art und Weise großziehen, die verhindert, dass diese als Jungen und junge Männer reifen und erwachsen werden können. Genau genommen erziehen sie ihre Söhne dazu, die Sorte Männer zu werden, die sie selbst als Ehemänner für ihre Töchter furchtbar fänden. Sie verwöhnen, beschützen, bedienen und bewundern ihre Söhne auf eine Art und Weise, die bei diesen ein Leben lang Unverantwortlichkeit und kindisches Verhalten nach sich zieht

7 Die Lücke zwischen korrekt und richtig

Ziel sollte es sein, starke und gesunde Kinder aufzuziehen. Juuls jahrzehntelange Erfahrung mit öffentlichen Einrichtungen ist, dass deren Leistungen immer weniger hilfreich werden. Das liegt nicht am Geld, sondern an falscher politischer Grundausrichtung:

Die bürokratischen Werte dienen den politischen und administrativen Kontrollorganen und die professionellen Werte den Bedürfnissen der Menschen. Sie widersprechen sich deshalb, weil die Bürokratie keine Fehler erlaubt, wohingegen Fachkräfte experimentell und kreativ arbeiten müssen, um ein Maximum an Qualität zu erreichen. Um das tun zu können, müssen sie Fehler machen dürfen und Raum für Misserfolge haben. Diese ausgeglichene Balance existiert nicht mehr.

Im Kapitel wird auch der Schlüsselbegriff Gleichwürdigkeit eingeführt.

8 Was hat Macht mit Führung zu tun?

Vom Tag der Geburt eines Kindes an wird elterliche Macht durch die vollkommene Abhängigkeit, die bedingungslose Liebe und das absolute Vertrauen des Kindes unterstützt. Kein Kaiser, Diktator, Politiker, Industrieller oder Lehrer bekommt ein solches Geschenk von seinen Untergebenen, und dennoch scheinen sich die meisten Eltern ihres großen Glücks nicht bewusst zu sein oder sie ignorieren es nach ein paar Monaten. Sie scheinen mehr mit dem »Aufziehen«, »Erziehen« und »Managen« – also Manipulieren – ihrer Kinder beschäftigt zu sein als damit, dieses Geschenk wertzuschätzen und zu bewahren. Ihre Kinder mühen sich ab, zu kooperieren und mit dem fehlenden Vertrauen fertig zu werden, indem sie ihre Körper und Seelen in dem nicht enden wollenden Versuch, zu gefallen und zu überleben, verbiegen und verdrehen. Das wirkliche Dilemma ist, von einer größeren Macht bezwungen zu werden.

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Der Selbstwert ist der grundlegende präventive Gesundheitsfaktor in unserem Leben und in dem Schaffen und dem Bewahren bedeutungsvoller persönlicher und konstruktiver sozialer Beziehungen.

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Tatsächlich besitzen Eltern so viel Macht auf der existenziellen und auf der strukturellen Ebene, dass die Notwendigkeit eines neuen ethischen Kodex bezüglich des Umgangs mit Kindern viel dringender ist, als erneut eine neue »Elternmethode« zu erfinden, die Eltern helfen soll, ihren Willen durchzusetzen. Ich sehe das etwas fieberhafte Auftreten neuer Erziehungsmethoden, wie wir es in den letzten zwei Jahrzehnten beobachten konnten, als letzte Zuckungen eines aussterbenden Paradigmas. Es besteht kein Zweifel daran, dass Kinder erwachsene Führung und Begleitung brauchen, aber wir müssen uns sehr genau anschauen, auf welche Art und Weise wir diese Führung ausüben: Authentizität (das heißt immer auch Verletzlichkeit), Empathie, persönliche Verantwortung und der Wille, zu lernen und weiterzulernen, bilden den Kern des neuen Paradigmas.

9 Die Zukunft Ihres Kindes ist jetzt!

Juul ruft dazu auf, sich auf die Entwicklung der Kinder in der Gegenwart zu konzentrieren (statt weit zukunftsorientiert wie tendenziell in den Bildungseinrichtungen), mit den Zielen psychisches Wohlbefinden und soziale Kompetenz, was ein universelles Instrumentarium zur aktiven Lebensgestaltung bildet

Sie sind außerdem das Beste, um Abhängigkeiten, Missbrauch, Gewalt, Essstörungen und vieles mehr zu verhindern. Und sie sind weitaus effektiver als Grenzensetzen, Regeln, Strafen, Moralisieren oder Bewertungen sowie alles andere, das wir traditionellerweise als Präventionsmaßnahmen erachten.

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Der bestmögliche Schutz besteht aus den folgenden Elementen:

  1. Ein gesundes Gefühl zu seinem Selbst entwickeln und die Erfahrung, sich als wertvoll für die Menschen zu erleben, die wir lieben. Das Gefühl, dass wir okay sind. Dass wir es wert sind, geliebt zu werden genau so, wie wir sind – hier und jetzt.

  2. Die Möglichkeit, unser Leben in vollem Umfang zu leben, unsere Potenziale bestmöglich zu entfalten, sowohl auf intellektueller als auch auf emotionaler und psychischer Ebene. All das unterstützt unseren Selbstwert.

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Es ist ein ernsthaftes Problem für heutige Kinder, dass ihre Eltern versuchen, die Techniken der Lehrer zu übernehmen. Sogar während der Freizeit, in der Kinder spielen und kreativ sein sollten, bieten ihre Eltern ihnen externe Anregungen. Kinder verbringen ihre Nachmittage und Wochenenden mit andauernder Unterhaltung durch Fernsehen, Filme oder andere mediale Aktivitäten. Die Folge davon sind Mädchen und Jungen, die von externen Unterhaltungsprogrammen überstimuliert sind. Sie haben weder gelernt noch wissen sie intuitiv, wie sie ihren Weg in ihr Innerstes finden können: den Ort, an dem die unverfälschte Kreativität verborgen ist.

Praktisch kann man mit seinem Kind “in Beziehung treten”. Juul schlägt vor, gemeinsame Zeit zu verbringen, mit persönlicher Zuwendung statt mit Lernspielzeug. Langeweile ist dabei kein Problem (weil normale Übergangsphase beim Ablösen von externen Reizen), Stille und Pausen ebenso wenig. Wichtig ist es sich zu öffnen, sich zu zeigen und auch verletzlich zu sein - das Kind wird dann seinerseits näherrücken.

10 Werte in Familie und Partnerschaft

Juul nennt vier wichtige Grundwerte (Prinzipien, Leitlinien), mit denen er vierzig Jahre erfolgreiche Familienarbeit gemacht hat:

  • Gleichwürdigkeit (den Anderen wahrnehmen und ernst nehmen)
  • Integrität (Bedürfnisse und Grenzen des Anderen kennen und ihn nicht verletzen)
  • Authentizität (Keine Elternrolle spielen, die nicht passt, sondern sich kennen und genau so auftreten)
  • persönliche Verantwortung (für seine Gefühle, Gedanken, Worte, Handlungen - “Wie kann ich andere Menschen führen, ohne sie zu verletzen?”)

Diese Werte dürfen nicht wichtiger sein als Beziehungen zu den geliebten Menschen, sonst rutscht man in ideologische Gefilde. Außerdem sind sie nicht vollständig, jede Familie sollte in ihrem eigenen Kontext weitere Werte identifizieren. Juul empfiehlt, dass sich Familien über ihre gemeinsamen Werte austauschen.

11 Erfolg durch Anpassung: unsere kollektive Illusion

Ein starkes Kind ist ein gesundes Kind mit einem gesunden Selbstwertgefühl, der Fähigkeit zur Empathie, einem soliden Selbstvertrauen und einer gut entwickelten Reihe psychosozialer Fähigkeiten – ein Mensch, der sich der Liebe würdig fühlt, der selbstbewusst ist, ungezwungen mit anderen umgehen kann und der sich seiner Abhängigkeit von und Verbundenheit mit allen anderen Menschen bewusst ist.

[…]

Denken Sie darüber nach, und denken Sie angestrengt darüber nach, denn Sie haben die Macht, die ersten 14 Jahre Ihres Kindes, das Selbstvertrauen Ihrer Studenten und das Selbstbild Ihres Patienten zu beeinflussen. Überlassen Sie die Verantwortung nicht der Gesellschaft, denn die Gesellschaft ist per Definition verantwortungslos.

12 Fallgruben für Leitwölfe

Die Leitwölfin, der Leitwolf bemühen sich um eine sozial freundliche Stimmung in der Familie: eine anspruchsvolle Aufgabe, die Authentizität statt pure Nettigkeit erfordert.

Fallgruben-Erziehungsstile:

  • Der neuromantische Stil: Harmonie über alles, die Welt zu einem besseren Ort machen wollen, Konflikte tendenziell vermeiden. Führt zu flachen Gefühlen und einsamen Kindern.
  • Curling-Elternschaft: Weg frei für kleine Prinzen und Prinzessinnen
    • Drei Gruppen
      • Eltern, die eine von der Welt abgeschirmte Familienharmoniewolke als besten Lebensstart betrachten (Verlängerung des Mutterleibs)
      • Eltern, die selbst aus Familien mit häuslicher Gewalt und unterdrückten Konflikten kommen
      • Eltern, die selbst aus Familien mit unausgesprochenen Konflikten und freudloser Atmosphäre kommen
    • so wird kein konstruktiver Umgang mit Konflikten erlernt
    • Kinder stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit - und entwickeln ein “monströses” Bedürfnis nach Aufmerksamkeit
  • Der Weg des geringsten Widerstands: Eltern sind mit eigenen Problemen beschäftigt, wollen möglichst wenig Energie in Erziehung investieren. Bedürfnissen der Kinder wird nachgegeben, keine wertegeleitete Erziehung
  • Helikopter-Eltern: Vollständige Kontrolle, zufällige Freundschaften werden vermieden, sämtliche Gefahren werden vermieden
  • Mein-Kind-als-Projekt-Eltern: Viel Zeit und Kontrolle aufwänden, um das Kind zu einem Star (o. Ä.) zu machen, ihm eine Identität aufprägen (Eltern machen ihre Kinder zum Objekt, sind gedanklich in der Zukunft statt im Hier und Jetzt)

Über Curling-Eltern

Dadurch, dass sie permanent ihren Kindern dienen und die eigenen Bedürfnisse vernachlässigen, werden sie als Menschen unsichtbar. Auf diese Weise berauben sie nicht nur sich selbst des Lebens, sondern sie sprechen auch ihren Kindern deren existenzielles Bedürfnis ab, etwas über andere Menschen zu lernen – über deren Reaktionen, Bedürfnisse, Werte und Grenzen.

Über den Weg des geringsten Widerstands

Die Kinder fühlen sich zerrissen: Auf der einen Seite bekommen sie alles, was sie wollen, auf der anderen Seite erhalten sie nur ein Minimum von dem, was sie brauchen. Oft haben sie ein schlecht ausgeprägtes Selbstwertgefühl und ein ziemlich aufgeblasenes Ego.

Über Helikopter-Eltern

Die Kinder müssen die Ängste und das Kontrollbedürfnis ihrer Eltern bedienen. So haben sie keine Möglichkeit, sich die Lebenskompetenz und die soziale Kompetenz anzueignen, die sie benötigen. Die Kinder entwickeln, was man »erlernte Hilflosigkeit« nennt, und sie haben Schwierigkeiten, erwachsen und unabhängig zu werden.

Über Mein-Kind-als-Projekt-Eltern

Die Eltern legen die Identität des Kindes fest, und wenn das Kind kooperiert und sich dem anpasst, wird es an irgendeinem Punkt seines Lebens eine schwere Existenzkrise durchmachen.

13 Führung light: Teenagerzeit und das Kind als Erwachsener

Als Teenager braucht Ihr Kind von Ihnen zwei Dinge: Vertrauen, Vertrauen und noch mehr Vertrauen und dann, dass Sie als Eltern eine neue Rolle für sich finden. Für Ihre Kinder ist es jetzt wichtig – genau wie für Sie –, dass Sie sich von der vordersten Front in deren Leben zurückziehen, doch als Sicherheitsnetz für den Notfall verfügbar sind. Sie sollten Ihre emotionale Präsenz, Ihr Engagement und Ihr Interesse nicht beschneiden, aber sorgen Sie dabei für etwas Distanz beziehungsweise für genügend Abstand.

Juul empfiehlt auch im Erwachsenenalter ein gutes Verhältnis zu den Kindern zu pflegen. Er weist darauf hin, dass ein “ewiges Thema” in allen Familien der existenzielle Konflikt zwischen Anpassung und persönlicher Integrität ist, und zwar unabhängig von der Familienkultur (Individualbedürfnisse vs. Wir-Familien), und dass es für alle Beteiligten wichtig ist, dass dieser Konflikt in der Familie offen ausgetragen wird.

14 Was tun, wenn das Rudel tollt?

Jesper Juul antwortet auf acht ausgewählten Fragen, sehr interessant, veranschaulicht seine Denkweise.

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